Der "Russenfriedhof"
2 Kilometer nordöstlich des Sichtungswaldes liegt die Kriegsgräberstätte Deblinghausen, auch als Werksfriedhof bezeichnet. Ich wähle bewusst den Begriff aus meiner Kindheit für den Friedhof der angrenzenden Pulverfabrik in dem nur die russischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen vergraben wurden. "Russen"friedhof beinhaltet schon die Abwertung und Ausgrenzung, die die slawischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen im Nationalsozialismus erlitten.
Hintergrund I:
" Ab Sommer 1939 errichtete die Firma Wolff & Co. aus Walsrode in unmittelbarer Umgebung der Ortschaften Liebenau und Steyerberg (Kreis Nienburg/Weser) einen ausgedehnten Rüstungskomplex, die Pulverfabrik Liebenau. ... Fremd-, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus zahlreichen europäischen Ländern stellten 1943 ca. 80 Prozent der Gesamtbelegschaft. Hinzu kamen sowjetische Kriegsgefangene und die Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers“ der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). ...
Hintergrund I - Fortsetzung:
... Der Arbeitseinsatz, die Behandlung und die Verpflegung folgten den Kriterien der NS-Rassenideologie: An der Spitze der Hierarchie standen die zivilen Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene aus west- und nordeuropäischen Staaten, an ihrem Ende sowjetische Kriegsgefangene, polnische Frauen und Männer sowie die "Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter" aus der Sowjetunion. Diese hatten rassistisch motivierte Ablehnung und Minderversorgung zu erdulden. 2.000 Jugendliche, Frauen und Männer starben an Krankheiten, durch Hunger, Misshandlungen, Unfälle, Erschießungen und Hinrichtungen. "
soweit die Bundeszentrale für poliische Bildung.
Link dazu
Hintergrund II
Auf dem Gelände der Pulverfabrik von rund 12 km² mussten zwischen 1939 und 1945 etwa 20.000 Personen der vorgenannten Gruppen arbeiten.
Laut dem Volksbund liegen auf dem Friedhof 2399 Tote. Im hinteren Teil der Anlage ruhen über 50 russische Kriegsgefangene aus dem 1. Weltkrieg.
Wie Dokumentationsstättenleiter Martin Guse auf einer Führung in 2025 berichtete, wurden die Toten aus dem Osten hier in einem Massengrab beigesetzt.
Verstorbene westeuropäische Zwangsarbeiter wurden auf normalen Friedhöfen beigesetzt, so wie sie auch deutlich bessere Lebensmittelrationen zugeteilt bekamen.
Die Ostarbeiter mussten ein aufgenähtes "O" auf ihrer Kleidung tragen.
Hintergrund III
1954
werden laut Volksbund die Opfer umgebettet, die jetzige Kriegsgräber-stätte entsteht.
1962 - Einweihung
1970er Jahre
Der damals errichtete Obelisk wurde laut Dokumentationsstelle umgestaltet, die Inschriften sind seitdem auf deutsch und auf russisch.
2019
Die von der Dokumentationsstelle recherchierten Namen der Todesopfer aus der Pulverfabrik werden an, den Munitionsbunkern nachempfundenen - Betoninstallationen öffentlich gemacht.
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Gedenk- und Bildungsstätte Liebenau
1999
gründete sich nach dem Besuch einer ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin der Verein Dokumentationsstelle Liebenau.
2023
wurde in ehemaligen Räumen der Hauptschule Liebenau die Gedenk- und Bildungsstätte Liebenau eröffnet.
Link dazu
Eine detailiierte Ausstellung für die Öffentlichkeit und weitere Angebote insbesondere für Jugendgruppen sind entstanden.
Dazu gehören auch Werksführungen über das sonst nicht zugängliche Gelände der Pulverfabrik, welches heute in Privatbesitz (Link dazu) ist.
Hintergrund IV
Der Russenfriedhof reiht sich ein in ein monströses System der Zwangsarbeit und Vernichtung menschlichen Lebens über das ich auch in meinem Braunschweiger Waldrevier "gestolpert" bin, wie etwa Grabhügel von im Wald verscharrten Zwangsarbeitern (Link) oder eine Erschiessungsstätte im Wald nahe der Stadt (Link).
Etwa 27 Mio. Sowjetbürger, darunter
- 9 Mio. Soldaten
- 12 Mio. Zivilisten
- 3,5 Mio. Kriegsgefangene
- über 2 Mio. Zwangsarbeiter
- 1 Mio. Hungertote in Leningrad
fielen im 2. Weltkrieg einem menschenverachtendem Vernichtungsplan zum Opfer (Zahlen aus Vortrag von Prof. Wette).
Für mich das zweite große Menschheits-verbrechen Deutschlands.
Obiges Fotos ist das Cover eines Ausstellungskataloges des Museums Berlin Karlshorst von 2021.
Weiterlesen zum Beispiel bei Lord Russel, Geißel der Menschheit, Westend-Verlag